SOMATISCHES LERNEN, Somatics, Körperarbeit oder Embodiment

sind bestehende, uneinheitlich verwendete Begrifflichkeiten, die sich auf das Lernen über den Körper durch Bewegung und Berührung beziehen.

Für den/die interessierten LeserIn habe ich Im Folgenden die wesentlichsten Merkmale somatischen Lernens auf Basis der neuesten Erkenntnisse der „embodiment-Theorie“ zusammengefasst (work in progress, Stand September 2013, copyright: Christian Apschner):

 

Der denkende Körper und das Körpergedächtnis

Somatisches Lernen beruht auf dem engen Bezug des Lernens zum Körper. Während klassisch verstandenes kognitives Lernen vorwiegend auf gedanklicher Ebene erfolgt, arbeitet somatisches Lernen mehrdimenisonal und bezieht mehrere Gehirnregionen ein, die wiederum mit dem gesamten Körper und seiner Umwelt vernetzt sind (4-E Cognition). Somatisches Lernen umfasst die Ganzheit einer Person und erfolgt langsam, tiefgründig und nachhaltig.

Das Körpergedächtnis (Leibgedächtnis) ist der Schlüssel somatischen Lernens/der embodiment-Theorie. Unser Körper denkt, handelt und trifft Entscheidungen. Das meiste davon bleibt im Unbewussten verborgen. Bewusstheit ist wie ein Licht, das einen kleinen Teil der unbewusst ablaufenden Prozesse an die Oberfläche bringt.

Erkenntnisse der Neuro-Sciences zeigen, dass im allgemeinen mehr als 90% der Nervenzellen für „unbewusstes Denken“ (Körpergedächtnis, implizites Wissen) und weniger als 10 % für bewusstes Denken/Handeln (explizites Wissen) verfügbar sind. Je besser ein Körper im Gleichgewicht ist (Homöostase), desto mehr Neuronen sind frei für bewusstes Wahrnehmen und Denken. Dies erklärt z.B. die Mattigkeit und Müdigkeit unseres Geistes, die spürbar ist, wenn unser Immunsystem stark gefordert ist und einen Teil der neuronalen kapazitäten für sich beansprucht. Je besser unser Körper strukturell ausgerichtet ist und je balancierter unser Haltungstonus ist, desto freier ist unser Kopf und umso klarer können wir denken (siehe M.Todd, C.Fazekas u.a.).

Das Körpergedächtnis lernt immer - im negativen und im positiven Sinne. Alle Sinneseindrücke hinterlassen Abdrücke im Nervensystem. Während sich negative Erfahrungen wie Angst meist unbewusst als blockierende Anspannung im Körpergedächtnis manifestieren, sucht somatische Körperarbeit ganz gezielt nach neuen positiven Körpererfahrungen, Bewegungsfreiheit und einem ausgeglichenen Körpertonus.

 

Wahrnehmen, Spüren, Fühlen, Denken und Handeln

Durch die Verbindung von bewusstem Wahrnehmen, Spüren, Fühlen, Denken und Handeln entstehen neue neuronale Netzwerke, die uns erlauben, uns freier, ökonomischer und ökologischer zu bewegen, zu handeln, zu leben und zu SEIN. Bewegung und Berührung sind die Grundlage aller menschlichen Entwicklungsprozesse. Der Heidelberger Philosoph und Phänomenologe Thomas Fuchs bezeichnet das menschliche Gehirn auch als ein „Beziehungsorgan“.

Somatisches Lernen ist die ureigenste Form des Lernens an sich. Die Geschichte somatischen Lernens  ist daher so alt wie die Geschichte der Menschheit selbst. Yoga, Tai Chi, Chi Gong, Aikido u.a. östliche Körperpraktiken haben einen wesentlichen Einfluss auf die Entstehung der neueren Methoden der westlichen Hemisphäre.

 

PionierInnen somatischer Lernmethoden

Einen ersten Höhepunkt erlebte diese Form des Lernens mit der Entstehung der Reformpädagogik in den 1920er Jahren. Im deutschsprachigen Raum ist die Pionierarbeit von Elsa Gindler und Heinrich Jacoby hervorzuheben. Elsa Gindler bezeichnete ihre Arbeit schlicht  als „Arbeit mit dem Körper“. Ein Textausschnitt aus einem ihrer Vorträge aus dem Jahr 1926 beschreibt auch aus heutiger Sicht immer noch sehr gut die Randbedingungen für somatisches Lernen. 1)

Mabel Todd war in den USA Vorreiterin der Erforschung somatischer Lernprozesse. Das 1937 erschienene Buch „The Thinking Body“ ist die Grundlage der später unter dem Begriff „Ideokinese“ vor allem in der Tanzwelt weiter entwickelten Methode, durch bewusstes Wahrnehmen anatomischer Gegebenheiten, die Körperhaltung und das Bewegungsverhalten zu verbessern.

Von eindrücklichen Persönlichkeiten wie F.M. Alexander, Moshe Feldenkrais, Gerda Alexander ("Eutonie"), Milton Trager, Arthur Lincoln Pauls ("Ortho-Bionomy"), oder Bonnie Bainbridge Cohen ("Body Mind Centering") wurden in der Folge verschiedenste Methoden somatischen Lernens entwickelt und verbreitet. Ab den 1980er- Jahren fanden diese Methoden zusehends Eingang in die zeitgenössische Tanzpädagogik. Die Bedeutung im Bereich der Erwachsenenbildung nahm ungleich langsamer zu und wird noch immer unterbewertet.

 

Intelligenz braucht Verkörperung in lebendigen Systemen (embodiment)

Signifikant zugenommen hat das Interesse am leiblichen Lernen um die Jahrtausendwende. Mit dem Ziel der Entwicklung künstlicher Intelligenz (artifical intelligence) im Umfeld der Computerforschung wurden großen Summen an Forschungsmitteln aufgewendet um im Endeffekt festzustellen, dass Intelligenz  ohne Verkörperung (embodiment) von Wissen nicht möglich ist (vgl. Tschacher, Storch u.a.). Der Begriff "embodiment" verbreitete sich ab diesem Zeitpunkt rasch. An den verschiedenen embodiment-Theorien wird  von verschiedensten Wissenschaftsbereichen aus geforscht. Noch weitgehend offen ist die Synthese der weitreichenden Erkenntnisse von Cognitive Sciences, Neuro-Sciences und der Sichtweise der Phänomenologie mit dem eigentlichen verkörperten Wissen jener Menschen, die sich seit vielen Jahrzehnten intensiv mit Körperarbeit befassen.

 

Gemeinsamkeiten und Unterschiedlichkeiten somatischer Lernmethoden

Folgende Autoren geben in ihren Buchveröffentlichungen einen guten Einblick in die wichtigsten Körperarbeitsmethoden:

Don Hanlon Johnson: Klassiker der Körperwahrnehmung - Erfahrungen und Methoden des Embodiment

Steinmüller, Wolfgang / Schaefer, Karin / Fortwängler, Michael (Hrsg.): Gesundheit - lernen - Kreativität: Methoden zur Gestaltung somatopsychischer Lernprozesse

Nähere Informationen zu den Körperarbeitsmethoden Trager und Ortho-Bionomyhttp://www.retune.at/index.php?id=7

Die einzelnen Methoden weisen viele Gemeinsamkeiten, jedenfalls einen gemeinsamen Kern, aber auch viele individuelle Unterschiedlichkeiten in den Herangehensweisen auf. Erwähnenswert ist, dass es keine einheitlichen Begrifflichkeiten gibt, sondern jede Methode eigene Begriffe gewählt hat. Dies erschwert den Diskurs, zeigt aber auch wie schwierig es ist, körperliches Lernen und die subjektive Sprache des Körpers in die abstrahierte objektive Sprache zu übersetzen. Körperarbeitsmethoden unterscheiden sich auch im Hinblick darauf, welche Teile des Körpergedächtnisses (sensomotorisches Gedächtnis, Raumgedächtnis, inkorporatives und zwischenleibliches Gedächtnis, Schmerz- und traumatisches Gedächtnis; vgl. Begrifflichkeiten von Prof. Thomas Fuchs) vorwiegend angesprochen werden. Eine wichtige Funktion im somatischen Lernen nehmen die in den 1990er Jahren entdeckten Spiegelneuronen ein.

Somatische Körperarbeit über Kontaktaufnahme mit den Händen (bodywork) und somatische Bewegung (somatic movement) werden meist in Kombination angewandt um die neuen Körpererfahrungen möglichst nachhaltig im Körpergedächtnis zu integrieren. Das oft dem kindlichen Lernen nachempfundene „spielerische Ausprobieren“ innerhalb eines vorgegebenen Lern-Settings verfeinert die Körperwahrnehmung und entwickelt die Fähigkeit, neue Handlungsmöglichkeiten zu nutzen.

 

Bewusstsein schafft materielle Strukturen/materielle Strukturen realisieren Gedanken

Durch Achtsamkeit und bewusstes Wahrnehmen kann im somatischen Lernen, Einfluss auf innere im Körpergedächtnis liegende Haltungs- und Bewegungsmuster genommen werden. Somatische Lernmethoden lenken in ihrem Lern-Setting die Aufmerksamkeit ganz gezielt auf bestimmte Aspekte der Körperhaltung, von Bewegungsmustern etc. um sie bewusst zu machen. Durch verbale Anleitungen, oft durch Vorstellungsbilder unterstützt,  können kleinste Veränderungen von Muskelanspannungen und andere kinästhetische Empfindungen wahrgenommen werden. Dies ist am besten in einem entspannten Zustand des Zentralnervensystems (Parasympathikus) aber gleichzeitig wachen Zustand des somatischen Nervensystems möglich. Somatisches Lernen kann daher nie unter Stress stattfinden. Es handelt sich jedoch auch keineswegs um reine Entspannungsmethoden, da diese in erster Linie auf den Parasympathikus wirken und der Lerneffekt auf das somatische Nervensystem und Körpergedächtnis vernachlässigbar ist.

Das feine "in den Körper spüren" bewirkt im Zeitverlauf eine Anpassung im Körpergedächtnis. Neue Haltungs- und Bewegungsmuster sind von der bewussten in die unbewusste Ebene gewandert und werden unmittelbar verfügbar. Sie sind nun im Körpergedächtnis abgespeichert.

Der menschliche Körper und Geist ist darüber hinaus so intelligent, dass im Lernverlauf auch die entsprechenden materiellen Strukturen wie Muskeln, Faszien, Knochen etc. an die neue Körperhaltung mitangepasst werden. Das Erlernte ist "in Fleisch und Blut übergegangen"; Geist ist zu Materie geworden und der Verkörperungsprozess abgeschlossen. Wir haben uns als ganzer Mensch verändert und werden auch von aussen neu wahrgenommen. Mit den nunmehr verfügbaren strukturellen/materiellen Ressourcen sind wir in der Lage, Gedanken zu realisieren, deren Verwirklichung uns zuvor nicht möglich gewesen wäre.

 

Somatisches Lernen als "re-education"

Somatisches Lernen versteht sich auch als ein Neu-Erlernen von körpergerechten Bewegungs- und Haltungsmustern, die bereits evolutionär im Körpergedächtnis angelegt sind. Dazu müssen einschränkende Haltungs- und Bewegungsmuster verlernt und losgelassen werden, die durch einen dauerhaft falschen Gebrauch des Körpers angeeignet worden sind. Ziel ist ist es, wieder Wahlmöglichkeiten zu gewinnen und den Muskeltonus dem jeweiligen Moment adäquat anpassen zu können.

In therapeutisch arbeitenden Körperarbeitsmethoden spricht man in diesem Fall davon, die körpereigenen Selbstheilungs- und -regulationskräfte freizulegen (vgl. z.B. "Somatic Experiencing" von Peter Levine oder "Ortho-Bionomy" nach Arthur Lincoln Pauls). Die Abgrenzung zwischen "Lernen" und "Heilung" ist fließend, da viele Krankheiten durch erlernte pathologische Haltungsmuster entstehen. Ein Entlernen und Loslassen der pathologischen Haltungsmuster kann daher vielfach auch Heilung zulassen. Somatisches Lernen ist keine Therapie, wirkt aber für viele Menschen therapeutisch.

 

Feedback-Schleifen zwischen Eingeweiden und höheren Gehirnstrukturen

Die auf neuesten neurowissenschaftlichen Erkenntnissen und der Evolutionstheorie beruhende Polyvagal-Theorie von Steven W. Porges kommt zu einem grundlegendem  Neuverständnis der Funktionsweise des autonomen Nervensystems. Das Ergebnis der evolutionären Entwicklung des menschlichen Nervensystems ist ein großes, komplexes System, das lernfähig ist, Probleme lösen, eine Reihe von Affekten ausdrücken und soziale Bindungen aufzubauen. Die Entstehung von Traumatas, Verspannungen und viele andere Probleme mit denen besonders der Mensch in der heutigen Zeit konfrontiert ist, können mit der Polyvagal-Theorie besser verstanden werden.

 

Hands on Arbeit und Berührung: Wissen, Kontakt und Intuition

Durch Berührung und Kontaktaufnahme mit den Händen kann direkter Zugang zu den inneren Haltungs- und Bewegungsmustern gefunden werden, da durch Berührung auch die tieferen mit den Emotionen in Zusammenhang stehenden Gehirnregionen angesprochen werden. Die Nervensysteme der empfangenden und gegebenden Person kommunizieren auf direktem Wege in einem koregulativen System. Von den einzelnen Körperarbeitsmethoden wurden ausgeklügelte Techniken entwickelt, die nur durch jahrelange Übung (ähnlich dem Erlernen eines Musikinstruments) erlernt werden können. In der Trager-Methode wird diese Form der Arbeit beispielsweise "psychophysische Integration, in der Feldenkrais-Methode als "funktionale Integration" bezeichnet. Das Körperwissen und Feingefühl von TänzerInnen und Musikern ist der Grund, dass diese oft die talentiertesten KörperarbeiterInnen sind.

 

Abgrenzung zu anderen Methoden

Es ist festzuhalten, dass es im therapeutischen Bereich eine Fülle weiterer Methoden gibt, die auf der embodiment-Theorie beruhen. Der vorliegende Beitrag soll sich jedoch in erster Linie auf geeignete somatische Lernmethoden im nicht klinischen Bereich für Erwachsenbildung und lebenslanges Lernen beziehen, wo Lernen immer noch oft als rein kognitiver Vorgang angesehen wird.

Auch Rituale können als besondere, dramaturgisch inszenierte Formen somatischen Lernens angesehen werden. 

Nicht unerwähnt soll bleiben, dass sich auch zahlreiche fragwürdige, suggestive, oft pseudowissenschaftlich oder esoterisch anmutende Körperarbeitsmethoden auf einem größer werdenden Markt suchender Menschen zu etablieren versuchen.

 

Contact Improvisation als Praxis somatischen Lernens

Contact Improvisation (CI) ist eine besondere Form des somatischen Lernens, indem über körperliche Kommunikation im Hier und Jetzt kontinuierlich neue Handlungsoptionen eröffnet werden. Somit werden sensomotorisches Gedächtnis, Raumgedächtnis, inkorporatives und zwischenleibliches Gedächtnis gleichermaßen angesprochen. Es bietet sich ein Experimentierfeld, das die positiven Wirkungen von Kooperation am eigenen Körper erfahrbar macht. CI ist ein demokratischer Tanz, in dem die Teilhabenden gleichberechtigt und –verantwortlich sind. Da das Gelingen von Gemeinschaft  auf vielfältige Art gefördert wird, findet auch soziales Lernen statt.

 

Gesellschaftspolitische Bedeutung somatischen Lernens

Somatisches Lernen nutzt die Lernfähigkeit und Neuroplastizität des menschlichen Nervensystems für eine positive Entwicklung der einzelnen Menschen entsprechend einer humanistischen Weltanschauung. In diesem Sinne wirkt somatische Körperarbeit  auch als Friedensarbeit.

Die gezielte Einflussnahme auf unser Körpergedächtnis von aussen durch systematische Angstausübung, Bestrafung/Belohnung, Manipulation, Suggestion oder Konditionierung könnte als „negatives somatisches Lernen“ bezeichnet werden. In diesem Fall kann das Körpergedächtnis für Machtinteressen anderer missbraucht werden. Man könnte sagen, wir sind nicht mehr selbst Choreograf unserer eigenen Körperhaltungen und Bewegungen, ein Teil unserer  Autonomie geht verloren. Diese Form, Menschen als Ressourcen auszunutzen, wird leider in weiten Teilen des gesellschaftspolitischen und Wirtschaftssystem immer noch als selbstverständlich angesehen.

Demokratische Systeme brauchen eigenverantwortliche Menschen. Umso wichtiger wäre die vollinhaltliche Berücksichtigung somatischen Lernens im gesamten Bildungswesen. Darüber hinaus hält die Praxis somatischen Lernens Körper und Geist flexibel und versetzt uns damit besser in die Lage, angemessen und autonom auf sich ändernde Randbedingungen, wie sie typisch für heutige Arbeits- und Umwelt sind, zu reagieren. 

 

Somatisches Lernen für lebenslanges Lernen und Gesundheitsvorsorge

Die wissenschaftlichen Erkenntnisse aus der Neurobiologie und Neurophysiologie bestätigen, dass ein gutes Zusammenspiel von bewusstem Bewegen, Empfinden, Fühlen, Denken und Handeln eine wesentliche Voraussetzung für Gesundheit und Heilung ist. Somatisches Lernen ermöglicht, den eigenen Körper besser zu verstehen und seine Signale hören zu lernen und somit mehr Verantwortung für sich selbst und seine eigene körperliche und geistige Gesundheit zu übernehmen (vgl. Begriff der „psychosomatischen Kompetenz“ nach Christian Fazekas von der Med.Univ. Graz). Darin liegt ein großes, bisher kaum genutztes Potential für Erwachsenenbildung und Gesundheitsvorsorge.

 

Literaturübersicht:

http://www.retune.at/index.php?id=114

  

1)Gekürzter Textausschnitt aus einem Vortag von Elsa Gindler aus dem Jahr 1926:

 „Entspannung ist für uns ein Zustand der höchsten Reagierfähigkeit, ein Stllle in uns, eine Bereitwilligkeit auf jeden Reiz richtig zu antworten. Die Entspannung, die wir suchen, lässt sich leichtesten erreichen durch Empfindung der Schwerkraft. Die Schwerkraft müssen unsere Glieder begreifen und fühlen lernen, ja jede Zelle in uns muss wieder die Fähigkeit erwerben, ihr folgen zu können.

Beim Stehen müssen wir fühlen wie wir unser Gewicht an die Erde abgeben und wie die Füße immer leichter werden. Es tritt das Paradoxon ein: Je schwerer wir werden, desto leichter, ruhiger werden wir.

Als wesentlichstes muss man festhalten: Alles Korrigieren von außen hat wenig Wert. Es muss eines mit dem anderen so durchdacht, durchfühlt, mit den tausendfachen Vorkommnissen im Leben untrennbar verbunden werden, dass es zum Wesen des Menschen wird. Wie überhaupt auch jeder versuchen muss, das Verständnis für die besondere Art seiner Konstitution zu gewinnen, so dass er sich im weiten Maße selbst behandeln kann.

Nun noch einige Worte über Spannung: Sie kommt scheinbar schlecht weg in unserer Arbeit, aber ich muss sagen nur scheinbar! In Wahrheit ist es so, dass nur, wer wirklich entspannen kann, auch Spannung haben kann. Darunter verstehen wir den schönen Wechsel der Energien, der auf jeden Reiz reagiert, der zunehmen, abnehmen kann nach der Beanspruchung. Wir verstehen darunter vor allem, jenes starke Gefühl der Kraft, der Mühelosigkeit einer Leistung, kurz ein gesteigertes Lustgefühl. Spannung wie wir sie verstehen, ist die Möglichkeit, die größten Widerstände mit einer gesteigerten Atmung zu überwinden. Spannung ist für uns der Gegensatz zu Krampf. Ausarbeiten wollen wir uns gern, aber nicht verarbeiten.

(Textquelle: Die Gymnastik der Berufsmenschen, Elsa Gindler 1926)